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Das Universitätsarchiv Leipzig – Vom eisernen Kasten zur Datenschatzkammer

Von Jens Blecher, Gerald Wiemers

Das Universitätsarchiv Leipzig bewahrt seit fast 600 Jahren die schriftliche Überlieferung der Universität Leipzig. In den Archivmagazinen finden sich wertvolle Bestände, die europäische und internationale Bedeutung besitzen. Entsprechend häufig kommt es zu Kontakten mit ausländischen Archivbenutzern. Besonders für den nationalen, regionalen und sächsischen Wissenschaftsbereich stellt das Universitätsarchiv eine bedeutende Quellensammlung dar. Darüber hinaus ist das Universitätsarchiv zugleich ein moderner Verwaltungsapparat, der Dienstleistungen für die Wissenschaftsverwaltung und die akademische Selbstverwaltung zu leisten hat. Für eine historische Öffentlichkeitsarbeit und die mediale Darstellung der Universitätsvergangenheit trägt das Universitätsarchiv als Kommunikator und Aktivator Verantwortung. Mitarbeiter des Archivs sind zudem in die universitäre Forschung und Lehre eingebunden.

 

Das Universitätsarchiv bis 1934

Bereits in den ersten Universitätsstatuten von 1410 wurden, um jeglichen Mißbrauch nach den Prager Erfahrungen auszuschließen, der Wahlmodus und die Verantwortungsbereiche des Rektors in einem komplizierten Regelwerk festgeschrieben. Der neu gewählte Rektor hatte demnach binnen fünfzehn Tagen sein Amt anzutreten – mit Schwur des Amtseides sowie Übernahme der Siegel und der Statuten. Zugang zum eisernen Kasten, in dem der Universitätsschatz – die Siegel, Privilegienurkunden und das Geldvermögen der Universität – verwahrt wurden, hatte der Rektor nur gemeinsam mit zwei weiteren Wahlmännern.  Nach den Statuten war der Rektor jedoch verantwortlich für diesen Universitätsschatz, den er seinem Nachfolger persönlich zu übergeben hatte. Nach gut 150 Jahren hatte sich eine Menge an Dokumenten angesammelt, so daß sich Caspar Borner (1492–1547), der sich seit 1542 mit einer Universitätsreform beschäftigte, gezwungen sah, Ordnung in die vorhandenen Schriftstücke des Rektoratsarchivs zu bringen.

In die Dokumententruhen der einzelnen Universitätskorporationen erhielt er jedoch nur zögerlich Einsicht und die Juristenfakultät verweigerte ihm sogar jeglichen Einblick. Eine Änderung der auf Privilegien gegründeten Archivpflege an der Universität ergab sich erst im Zuge der Staatsreformen des 19. Jahrhunderts, die auch eine Universitätsreform beinhalteten. Das Rektoratsarchiv stand im Jahre 1834 plötzlich im Mittelpunkt staatlichen Interesses. In einem Bericht vom 22. November 1834 gibt der Regierungsbevollmächtigte Friedrich Albert von Langen (1798–1868) an den Kultusminister zu bedenken, „… dass das Ordnen, Seperieren und gehörige Reponiren des Universitäts-Archivs…“ offenbar nicht voranginge und das Archiv in einem „sehr beklagenswerten Zustande sich befindet“. Allerdings hatte sich von Langen nicht persönlich vom Zustand des Archivs überzeugt, aber er wußte, daß „ein Teil desselben auf einem Dachboden asservirt und daselbst nicht gut besorgt wird.“ Das Kultusministerium fordert eine allgemeine Revision des Archivs und erachtete es für notwendig, daß „diejenigen Akten, Urkunden und Schriften, welche sich auf die Angelegenheiten der Vermögensverwaltung beziehen, ehrmöglichst davon gesondert und an die Universitätsrentverwaltung abgegeben werden.“ Im Mittelpunkt der staatlichen Sorge standen nicht das Archiv und sein Zustand, sondern vielmehr die Unterlagen über das Vermögen der Universität, die die Staatsverwaltung gesichert sehen wollte. Mit der Durchsicht des Archivs wurde Anfang 1835 begonnen, ohne daß man mit der „vorzunehmenden Aktensonderung“ vorankam.

Der Universitätssekretär Mirus der für diese Arbeit offenbar unentbehrlich war, hatte sich krank gemeldet, so daß von Langen um Aufschub bat. Zugleich bemängelte er, daß sich das Archiv in einem ungeeigneten Raum befände und schlug vor, das Archiv im Rentamt unterzubringen, möglichst mit einem separaten Eingang. Die Akten des Rektors und Senats sollten von denen des Rentamts zwar getrennt sein, aber dennoch sollte eine gemeinschaftliche Benutzung möglich werden. Dazu waren kleinere Umbauten notwendig, weswegen der Universitätsbaudirektor Albert Geutebrück (1801–1868) für einen Kostenanschlag hinzugezogen werden sollte. Die Universität bestellte eine Verwaltungsdeputation unter Leitung des Rektors, des Historikers Wilhelm Wachsmuth (1784–1866), und der vier Dekane, die den Notar Dr. Julius Süßmilch mit der Ordnung des Archivs beauftragte. Als dieser nach der Versetzung von Langen seine Tätigkeit wieder aufgab übernahm der neue Kreisdirektor Johann Paul von Falkenstein die Aufgabe, für Ordnung und Trennung der Akten im Universitätsarchiv zu sorgen. Zuvor hatte der Akademische Senat der Universität Leipzig einen Bericht an das Ministerium gegeben, demzufolge die Bestände des Universitätsarchivs auch deshalb geordnet werden sollten, weil man Erkenntnisse für die „Regulierung derer Besoldungsverhältnisse der Universitätsbeamten“ erhoffte. Das Archiv, „welches im Jahre 1829 aus seinem damaligen Locale weggebracht werden musste, und aus Mangel an Raum nicht wieder gehörig aufgestellt werden konnte“ müßte neu geordnet und aufgestellt werden. Nachdem Falkenstein sich augenscheinlich einen Überblick zur Situation des Archivs gemacht hatte, fertigte er 1836 einen Bericht an das Ministerium an, der die katastrophale Lage des Archivs beschreibt. Es seien drei Hauptmängel, die es sofort zu beseitigen gälte: Zunächst müsse die Ordnung, „der in der grenzenlosesten Verwirrung und zum großen Teil in einzelnen Faszikeln und Blättern umherliegenden Akten und Schriften“ wieder hergestellt werden. Zweitens sei die Erstellung eines Findbuches obligatorisch und schließlich wäre die Bereitstellung der „nötigen Räume zur Aufbewahrung der Akten und Schriften der Rentverwaltung, des Universitätsgerichts und des Universitätsarchivs“ anzustreben. Mit dieser Bestandstrennung strebte Falkenstein die schnelle Verfügbarkeit aller Finanz- und Rechtsvorgänge an.

Das war ganz im Sinne einer juristisch ausgerichteten Verwaltung, denn das Universitätsarchiv umfaßte damals die Rektorats- und Nationenunterlagen. Die vier Fakultäten unterhielten eigene Registraturen. Falkenstein bezog in seine Kritik auch den Universitäts-Actuarius Mirus ein, der „eine nicht unbedeutende Menge Akten und Schriften unter besonderen Verschluss“ aufbewahrte. Er hielt ihm vor, trotz strenger Ermahnung die Sache nicht zu fördern. „Der von mir zu der ganzen Angelegenheit gebrauchte Kandidat“, schreibt Falkenstein, der „dermalige Advokat Julius Süßmilch hat mir oft geklagt, wie sehr ihn dieser Mangel an aller Willfährigkeit hindere“. Die Erschwernisse nahmen zu, als der Universitätssekretär Mirus behauptete, er habe dem Geheimrat Pölitz neuere Konviktsakten ausgehändigt – dieser aber die erfolgte Übergabe verneinte. Zwei Jahre später bat Falkenstein das Kultusministerium um Nachsicht dafür, daß das Universitätsarchiv noch immer nicht geordnet ist. Verantwortlich macht er dafür die „Nachlässigkeit und Unordnung, die bei diesem Archive stattgefunden hat“ und es fehle auch am guten Willen. Dennoch hoffte er, daß recht bald die Findbücher fertiggestellt werden könnten. Der Rentmeister habe zu diesem Zwecke alle Akten erhalten, die er brauche. Falkenstein versicherte, daß ihm die „cura archivi“ sehr am Herzen liege und daß er sich bemühen werde, „sie nun baldigst zu Ende zu bringen.“ Mit den von Süßmilch ausführlich begründeten Findbuchfür die Universitätsakten I-XXXiV und die Universitätsgerichtsakten IX14 war ein erster Schritt getan. Nur ein halbes Jahr später, im April 1839, konnte Falkenstein einen gewissen Abschluß melden: „Endlich kann ich nun dem Königlichen Hohen Ministerium anzeigen, dass nach Besiegung der mannigfachsten Schwierigkeiten der verschiedensten Art, die Ordnung des Universitätsarchivs und die Fertigung von Repertorien im wesentlichen vollendet ist.“

Das Ministerium war dennoch nicht zufrieden, weil ein „großer Teil der vorhandenen Akten […] für die gegenwärtige Zeit von keinem Interesse mehr“ ist. Man fürchtete neue Raumprobleme für das Archiv. Auch das „Nachsuchen“ in den Repertorien würde durch die Fülle an archivischen Material erschwert. Dreißig Jahre später (1869) befand sich das Archiv immer noch in einem Zustand, der an das Jahr 1834 erinnert: „Es ist wiederholt der Fall eingetreten“, schreibt der Mitverantwortliche für das Archiv, der Physiker Wilhelm Hankel (1814–1899) „dass die betreffenden [Senats- ]Akten gar nicht oder erst nach langem Suchen aufgefunden werden konnten.“  Das Kultusministerium, diesmal war wieder Falkenstein damit befaßt, beauftragte 1871 den Universitätsrichter Albert Hassler mit der Revision des Archivs und der Erstellung eines neuen Findbuches für die Senatsakten. In seinem Bericht schlug er vor, „dass das ungeordnete (!) Archiv einem bestimmten Beamten zur alleinigen Verwaltung und unter Verschluss gegeben werde.“
Für die Benutzung des Archivs erließ er eine „Instruction“. Auf seinen Vorschlag hin stellte das Ministerium ohne Wissen des akademischen Senats mit dem Kanzlisten Grosse einen Archivar ein. Eine negative Reaktion des Senats war die Folge. Das Archiv müsse dem Rektor und dem Senat unterstellt bleiben und der neu ernannte Archivar könne nicht dem Universitätsrichter unterstehen. Dieser dürfe „mit dem Archive gar nichts weiter zu tun haben“. Das Ministerium räumte die neuerliche Unterstellung des Archivs unter Rektor und Senat zwar ein verwies aber auf die Zustände seit 1834. Der Senat stimmte der Instruction ihres Universitätsrichters, die am 23. August 1873 vom Ministerium beglaubigt wurde, zu und sah in dem Schreiben des Ministeriums vor allem eine Bestätigung, daß das Universitätsarchiv allein dem Rektor und dem akademischen Senat unterstellt bliebe – eine Regelung, die übrigens seitdem bis in die Gegenwart fortbesteht!
Damit hatte das Universitätsarchiv Leipzig einen Status inne, den andere Rektoratsarchive in Deutschland nicht einmal ansatzweise zugebilligt bekamen. Gut 25 Jahre später wurde ein eigenes Archivgebäude, zwischen Universitätskirche und Augusteum, eingeweiht. Als einer der ersten Archivzweckbauten in Deutschland war das Magazingebäude aus Stahlbeton 1898 nach Plänen von Arwed Roßbach errichtet worden. Im unteren Teil befand sich der Eingang zur Kirche für Besucher, die vom Augustusplatz kamen. Darüber erhob sich das Archiv, in dem die Überlieferung des Rektorates untergebracht war. Die Fakultäts- und Behördenarchive wurden jedoch weiterhin separat gelagert – Forschungen zur Universitätsgeschichte hatten daher immer wieder mit immensen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein Zustand, der noch bis in die 1930er Jahre andauerte und sich erst unter politischen Auspizien ändern sollte.